Russlanddeutsche

Ein Volk auf der Wanderschaft von Otto Hertel

Herkunftsgebiete und Kolonien in Russland

Herkunftsgebiete

Die Schwerpunkte der Auswanderung aus Deutschland waren: im Norden Danzig/Westpreußen, von wo vorwiegend die Mennoniten (1789-1863) ausgewandert sind. (Der überwiegend größte Teil der Aussiedler, die sich in den 70er/80er Jahren in Ostwestfalen-Lippe niedergelassen haben, sind Nachkommen dieser Gruppe.) Aus Polen zogen 1815/18 die aus Preußen und Württemberg zugezogenen Deutschen weiter nach Bessarabien. Aus Hessen ging die Hauptauswanderung (1763-1767) ins Wolga- und später ins Schwarzmeergebiet Das Hauptauswanderungsgebiet ist aber Südwest und Süddeutschland. Aus Nordrhein-Westfalen sind solche bedeutenden Persönlichkeiten nach Russland ausgewandert wie der aus Bochum stammende Heinrich Johann Ostermann (1686-1747), er leitete unter der Kaiserin Anna lwanowa (1730-1740) die Außen­politik Russlands; Friedrich Joseph Haass (* 1780 Bad Münstereifel, t 1853 Moskau) - der "heilige Doktor von Moskau"; ihm sind von russischen (Dostojewski, Maxim Gorki, Turgenew, Gogol u. a.) und deutschen (A. Hamm, J. Harder) Schriftstellern und Dichtern würdige Literaturdenkmäler gesetzt worden.


Abb.: Siedlungsgebiete der Wolga und schwarzmeerdeutschen in den Mutterkolonien (zum Vergrößern anklicken)


Die große planmäßige Ansiedlung deutscher Bauern in Russland begann 1763 und dauerte bis Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts, das heißt zirka 100 Jahre. Aus Hessen führte der beschwerliche Weg bis Saratow an der Wolga, wo auf einer geschlossenen Landfläche 104 deutsche Siedlungen gegründet wurden (1763-68). Die zweite größere Auswanderung war die der Mennoniten aus Danzig/Preußen nach Chortitza am Dnepr (1789-1840). In den Jahren 1804 bis 1842 fand die stärkste Auswanderung aus Süd- und Südwestdeutschland bis in die Gegend von Odessa, nach Bessarabien, in die Krim und in den Südkaukasus statt. Insgesamt wurden in diesen Gebieten 181 Dörfer (Mutterkolonien) gebildet.  

Mutterkolonien

Die 104 Dörfer an der Wolga waren bei ihrer Gründung streng konfessionell getrennt, 45 dieser Siedlungen wurden auf der Bergseite (rechtes Wolgaufer) und 59 auf der Wiesenseite angelegt. Wie die Wolgadeutschen waren auch die ländlichen Siedlungen um Petersburg und Belowesh (nordöstlich von Kiew) stammesmäßig aus Hessen, teilweise aus der Pfalz und aus Württemberg. Sie wurden auch fast gleichzeitig gegründet.

Die Wolhyniendeutschen sind zum großen Teil aus der Weichselgegend und aus Pomerellen, Mitteldeutsche aus Schlesien und Polen, stammesmäßig also Norddeutsche, der Konfession nach alle evangelisch. Während die Wolga- und Schwarzmeerdeutschen in großen geschlossenen Dörfern angesiedelt waren, lebten die Wolhyniendeutschen zumindest bis 1930 in Streusiedlungen.

Die Mennoniten bildeten insgesamt vier größere Siedlungsgruppen:

  • das Chortitzaer Gebiet am Dnepr südlich von Jekatherinoslaw (Dnepropetrowsk);
  •  in Taurien an dem Flüsschen Molotschnaja, hier entstand die größte Mennonitengruppe - Halbstädter oder Molotschnaer Gebiet (1804-40);
  •  die so genannte Trakter Mennonitendörfer - eine Gruppe von mennonitischen Kolonien auf der Wiesenseite neben den dort schon seit 1763-67 bestehenden so genannten Wolgadeutschensiedlungen (1856-1863);
  •  das mennonitische Siedlungsgebiet Altsamara im Gouvernement Samara (heute Kuibyschew) (1858-68). Diese letzten beiden Gruppen waren auch die letzten Deutschen, die noch eine Einreisegenehmigung erhielten, die aber bei der russischen Botschaft in Danzig ein bestimmtes Vermögen nachweisen mussten.

 Konfessionell setzte sich das Schwarzmeerdeutschtum 1914 wie folgt zusammen:

  • evangelisch 45 Prozent,
  • katholisch 35,8 Prozent,
  • Mennoniten 19,2 Prozent.

Das städtische Russlanddeutschtum umfasste 1905 fünfzig Städte mit einem deutschen Bevölkerungsanteil von 500 bis 5000 Personen, hinzu kamen Moskau mit bis zu 20000, Petersburg mit 42000, Odessa mit 12000 Deutschen, dazu die baltischen Städte mit einem erheblichen deutschen Bevölkerungsanteil.


Barbara Hamm-Fast wurde 1854 in Danzig geboren und wanderte 1861 mit ihrer Familie nach Alt-Samara an der mittleren Wolga aus. Rund 50 Enkel und Urenkel von ihr leben heute in der Bundesrepublik Deutschland. (Stand 1990)

Tochterkolonien

Das Erbsystem (jüngster Sohn als Hoferbe), der Kinderreichtum und das Privileg, Land zu kaufen (lange vor der Entlassung der russischen Bauern aus der Leibeigenschaft), führten zur Gründung von zahlreichen Tochterkolonien, zuerst in der Nähe der Mutterkolonien im Wolga- und Schwarzmeergebiet, aber auch in anderen Gegenden, ab 1861 etwa im Nordkaukasus, in den siebziger Jahren und später in Sibirien, Kasachstan und Mittelasien. Insgesamt entwickelten sich aus 304 Primärsiedlungen 3232 Tochter(Sekundär-)siedlungen. Die Zahl der deutschen Dörfer (ohne Baltikum) betrug somit rund 3500.


kinderreiche Familie bei Tisch spricht ihr Gebet Alte bewährte Kindergebete als Halt und Stütze im Leben www.kindergebete.de


 

Der Kinderreichtum der Deutschen in Russland lag (und liegt wohl auch heute) bedeutend über dem Landesdurchschnitt. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie lag bei den Russlanddeutschen vor 1918 bei 8 Kindern. Aus 100000 Einwanderern und einigen -zigtausend "Alteingesessenen" wurde in 135 Jahren eine Volksgruppe von 1,7 Millionen (Volkszählung 1897), ungeachtet dessen, dass die Einwanderung insgesamt 100 Jahre andauerte und in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts nach der Aufhebung der Privilegien und der Einführung von Beschränkungen eine größere Auswanderbewegung eingesetzt hatte. Interpoliert man die Zahlen, so ergibt sich dennoch ein Ergebnis, wonach sich die Zahl der Deutschen in dieser Zeit durch natürlichen Zuwachs versiebzehnfacht hat.

weiterlesen